In der Rubrik «Hätten Sie es gewusst» bespricht Geschäftsführer und Arbeitsrechtsspezialist Balz Stückelberger Fälle aus der Arbeitsrechtsberatung von Arbeitgeber Banken. Die Antworten sind kurz und allgemein gehalten und ersetzen nicht eine vertiefte arbeitsrechtliche Prüfung im Einzelfall.
Der Fall: Eine Bankmitarbeiterin hat sich vor zwei Jahren den Traum eines Eigenheims erfüllt. Schon bald entwickelte sich daraus allerdings ein Albtraum, weil der Nachbar sich laufend über den Lärm der Kinder, die Gerüche des Komposts und den Rauch des Grills beschwerte. Alle Gespräche und Mediationsversuche blieben erfolglos und der Nachbar zog den Fall vor Gericht. Die Mitarbeiterin teilt der Arbeitgeberin nun mit, dass sie den Gerichtstermin wahrnehmen muss und deshalb einen halben Tag fehlen wird. Die Personalabteilung muss entscheiden, wie diese Absenz zu qualifizieren ist: Muss die Mitarbeiterin einen halben Tag Ferien nehmen, weil es sich um eine private Angelegenheit handelt? Oder muss die Arbeitgeberin die freie Zeit gewähren und dafür sogar Lohn bezahlen?
Die Antwort: Die Arbeitgeberin muss der Arbeitnehmerin gemäss Art. 329 Abs. 3 OR die «üblichen freien Stunden und Tage» gewähren. Diese sogenannte ausserordentliche Freizeit soll es den Arbeitnehmenden ermöglichen, während der Arbeitszeit dringende persönliche Angelegenheiten zu erledigen. Dazu gehören zum Beispiel der Besuch einer Amtsstelle, der Termin bei einem Anwalt, aber auch Familienfeiern, Blutspenden oder die Absolvierung der Fahrprüfung, sofern diese Anlässe nicht ausserhalb der Arbeitszeit besucht werden können. Auch das Erscheinen vor Gericht gilt als dringende persönliche Angelegenheit, die während der Arbeitszeit wahrgenommen werden darf.
Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob während dieser Zeit ein Lohnanspruch besteht, oder nicht. Art. 329 Abs. 3 OR äussert sich nicht dazu. Lehre und Rechtsprechung gehen aber davon aus, dass es bei Mitarbeitenden im Monatslohn üblich ist, den Lohn während diesen Abwesenheiten zu bezahlen, sofern nichts anderes vereinbart wurde. In der Regel sind in den Personalreglementen detaillierte Aufzählungen der freien Stunden und Tage zu finden, die ohne Lohnabzug gewährt werden. Auch die VAB enthält in Ziffer 22 eine Aufzählung solcher Anlässe und Ereignisse. Im vorliegenden Fall beurteilt sich die Lohnzahlung allerdings nach Art. 324a OR, da es sich bei der Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung als Partei um eine gesetzliche Pflicht handelt, für die eine Lohnfortzahlung vorgesehen ist.
Die Mitarbeiterin kann also während der Arbeitszeit und ohne Lohnabzug an der Gerichtsverhandlung teilnehmen.