In der Rubrik «Hätten Sie es gewusst?» bespricht Geschäftsführer und Arbeitsrechtsspezialist Dr. Balz Stückelberger Fälle aus der Arbeitsrechtsberatung von Arbeitgeber Banken. Die Antworten sind kurz und allgemein gehalten und ersetzen nicht eine vertiefte arbeitsrechtliche Prüfung im Einzelfall.
Der Fall: Ein Finanzinstitut überarbeitet seine Unternehmensstrategie und definiert in diesem Zusammenhang auch verschiedene Massnahmen im Bereich der Unternehmenskultur. Unter anderem wird die Du-Kultur im ganzen Unternehmen als Standard eingeführt. Ein Mitarbeiter aus dem mittleren Kader ist nicht einverstanden und will die Du-Kultur in seiner Abteilung nicht übernehmen. Seiner Ansicht nach führt dies zu einer übertriebenen persönlichen Nähe und verwischt die Hierarchien. Unter anderem möchte er nicht, dass ihn die Lernenden vom ersten Tag an einfach duzen. Er sagt, dass diese Duz-Anordnung auch arbeitsrechtlich nicht korrekt sei. Zu Recht?
Die Antwort: Die Du-Kultur ist als Teil der sich rasch wandelnden Arbeits- und Führungsformen auch im Finanzsektor auf dem Vormarsch. Dabei stellen sich in der Praxis selten rechtliche Fragen. Vielmehr ist die Einführung der Du-Kultur im Zusammenhang mit der Organisationsentwicklung und der Organisationskultur zu sehen. Der Wechsel auf Du ist dabei nicht gleichbedeutend mit der Verordnung einer persönlichen Nähe unter den Mitarbeitenden, sondern ist als Ausdruck eines kollaborativen Arbeitsumfeldes zu sehen. Auf jeden Fall sollte die Du-Kultur nicht einfach verordnet, sondern mit geeigneten Begleitmassnahmen gut verständlich und gegebenenfalls auch unter Einbezug der Mitarbeitenden eingeführt werden.
Aus arbeitsrechtlicher Sicht fällt die persönliche Anrede am Arbeitsplatz in den Schutzbereich des Persönlichkeitsschutzes, der allen Angestellten zukommt. Auch in der heutigen Zeit muss man es sich grundsätzlich nicht gefallen lassen, am Arbeitsplatz geduzt zu werden, sofern man dies als unerwünschte und übertriebene Nähe und damit als Eingriff in die Persönlichkeitsrechte empfindet. Der Persönlichkeitsschutz wird nach Auffassung von Arbeitgeber Banken in diesen Fällen aber überlagert durch den Anspruch des Arbeitgebers, eine einheitliche Unternehmenskultur durchzusetzen. Dieser Anspruch steht dem Arbeitgeber aufgrund seines Weisungsrechts zu. Im konkreten Fall kann das Unternehmen die Du-Kultur also durchsetzen, und der Mitarbeiter muss sie übernehmen. Selbstverständlich ist aber dringend zu empfehlen, das Gespräch mit dem Mitarbeiter zu suchen und ihm den Hintergrund der Massnahme zu erläutern.
Anders zu beurteilen sind Fälle, in denen das Du nicht Teil der Betriebskultur ist und in denen zum Beispiel ein Vorgesetzter eine missliebige Mitarbeiterin ungefragt duzt, um das Hierarchiegefälle zu unterstreichen. In dieser Situation wäre wohl eine Persönlichkeitsverletzung zu bejahen.